Italien #2: Umlufthitze am Po

Italien #2: Umlufthitze am Po

Als wir am Abend zuvor unsere Zelte aufgebaut hatten, war Sascha bereits auf die Idee gekommen, das grüne Überzelt nicht komplett zu verwenden. Der Grund war einfach: Es war laut seiner Aussage “scheiße, ist das heiß hier drinnen, ich bekomme keine Luft!” nicht sehr angenehm. Aus Privatsphäregründen hatte ich zunächst versucht mit Überzelt zu schlafen, habe diesen naiven Versuch aber nach 2 Sekunden sofort aufgegeben: es war nicht auszuhalten. Also verließ ich mein Zelt erneut, um mir weitere zwei Mückenstiche abzuholen und die 0,5mm luftdichte Sichtschutzfolie zu lösen. In der Nacht sank die Temperatur dann aber anscheinend doch etwas ab, so dass eine Unterhose zum schlafen nicht mehr gereicht hat. Meinen Quilt (Daunendecke) hatte ich im Fußbereich für diesen Fall vorbereitet, deckte mich also zu, um erholsam bis 05:45 weiter zu schlafen.

Meine Polsterhose, Schuhe und Socken hatte ich (wie so oft) im “Vorzelt” auf meinen Taschen und Schuhen gelagert. Leider war der Morgentau so intensiv, dass alles recht klamm wirkte. Um 06 Uhr morgens im Halbschlaf war mir das dann aber anscheinend auch egal, denn der Wetterbericht für den heutigen Tag sah 5000° Celsius und keine Wolken vor, und: bereits am ersten richtigen Fahrtag auf das zweite von drei Paar Socken wechseln, fand ich dann doch etwas übertrieben.


Und so bauten wir in gewohnter Routine zweier Radreisender unsere sprichwörtlichen Zelte ab und machten uns auf den Weg, entlang der geplanten Route. Eine größere Stadt war nicht in Sicht, also hielten wir die Augen nach einem Platz mit Sitzgelegenheit offen, um dort einen Kaffee zu kochen und etwas zu frühstücken.

Den Ofen auf 200° vorheizen

Und wir wurden fündig. Die mückenzerstochenen Beine in enger Radlerhose gequetscht, mit leicht müden Gliedern und trüben Augen holt man seinen Gaskocher am liebsten wo aus der Fahrradtasche und kocht sich einen lecker Mokka und wirkt dabei irgendwie zwischen sympathischen weirdo und creepy german guy?
Genau: einem Kinderspielplatz im Wohngebiet.

Der große Vorteil an diesem Spot, und unserer Tour generell, waren die oft am Wegesrand zu findenden Wasserspender. Diese sollten uns auf der gesamten Tour retten, denn – Spoileralarm – nicht jedes Land ist wie Deutschland, und in Italien ist Mittags zwischen 13 und 16 Uhr: Siesta. Und Siesta = Kein neues Wasser. Und welche Genies hatten das nicht bedacht? Wir.

Nachdem wir also unseren Instantkaffee getrunken und die mitgebrachte Sachertorte aus der Dose geschält hatten, fuhren wir los. Bereits jetzt zeichnete sich ab, dass die Temperatur heute wahrscheinlich noch ein Problem werden sollte. Es war also eincremen angesagt.

Gefahren sind wir auf dieser Etappe die meiste Zeit auf festem Schotter, entlang des Po auf einer Art Deich. Dies war ein Teil der “Mittelmeer Route” EuroVelo8 https://de.eurovelo.com/ev8

Nach kurzer Zeit verlief die Etappe entlang an einem sehr kleinen Örtchen, dessen Name mir nicht mehr einfällt. Auf Verdacht (“wollen wir mal gucken gehen?”) sind wir von der Route abgebogen um einen kurzen Blick zu wagen. Wie man es sich vorstellt, und wir auf unseren Reisen so lieben, waren wir plötzlich umgeben von Einheimischen, älteren Menschen. Wie auch wir, genossen sie ihren Espresso, Americano oder sonstiges. Wir brauchten keine Verständigung, um zu entscheiden, dass wir hier unsere Fahrräder abstellen und ein italienisches Frühstück genießen werden.

Sascha denkt dass er fließend italienisch spricht, und hat sich fleißig mit der sehr freundlichen Besitzerin unterhalten, während ich mich auf der Toilette etwas frisch gemacht habe. Nach unserem neuen Lieblingsgetränk, dem Americano, sind wir dann auch wieder weitergefahren.

Das Produkt alle 30 Minuten wenden

Wie das Klimagefühl bereits am morgen angekündigt hatte, wurde es unsere längste und härteste Etappe. Bis zum frühen Nachmittag sind wir durch die gleißende Mittagshitze gesprintet, um kurz vor 13 Uhr eine der “Ausfahrten” des Velo8 zu nutzen, und Schutz vor der Sonne zu suchen.

Hätte ich in meinen 10 Schuljahren besser aufgepasst, wäre mir der Name der beiden den einzigen Schatten gebenden Bäume neben meinem Fahrrad wahrscheinlich anhand der Identifikation der Blätterstruktur eingefallen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite dieser totenstillen Stadt führen Stufen in eine Art Hochparterre. Durch die mäßig gepflegte Schaufensterscheibe erkenne ich zu Pyramiden aufgebaute, verblasste Kartons zweifelhafter Homeshoppinggeräte, Küchenmaschinen und aus der Zeit gefallene Kuriositäten. Gesäumt wird diese kleine Shopping-Oase von stehenden Luftmatratzen und weiteren Nassbereichsspielwaren. Unterhalb des Eingangsbereiches des Hauses sehe ich einen älteren Herren eine Art Geräteschuppen verlassen und werde aktiv.

“Scusi?” Gefolgt von meiner neuen Standardgesprächseröffnung, dem langsamen führen meiner rechten Hand auf die Brust, ergänzt durch “non italiano” bringt mir die notwendige Aufmerksamkeit des Mannes.

“Supermarket? Shop?”

“si! avanti avanti!”

Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn richtig interpretiere, und wir bei ihm Getränke kaufen können, oder er ein anderes Geschäft meint, als ich mich in freudiger Erwartung auf ein Kaltgetränk auf mein Fahrrad schwinge.

“avanti avanti!” ruft er erneut, als wir uns ihm nähern, und zeigt entlang der Häuserschlucht in Richtung des Zentrums dieses kleinen Ortes. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr lässt mich erahnen, wieso er uns zur Schnelligkeit aufruft.
12:59 Uhr – kurz vor Siesta.
Auf der Straße überholen wir auf dem Fahrrad die Zweite der beiden hier zu dieser Zeit befindlichen Personen. Da ich genauso fließend italienisch spreche wie Sascha, frage ich sie gekonnt landestypisch nach dem versprochenen Supermarkt.

“scusi gute Frau, we need water. Supermarket, jaja, shopping. Wo? da drüben over there, OK grazie!”
Und so rollt die liebe Frau mit uns gemeinsam zur unscheinbar wirkenden Haustür. Da die Glastür abgeschlossen ist, gibt sie mir gestenreich zu verstehen, noch intensiver und lauter zu klopfen und rufen. Wie von Zauberhand wird die Tür plötzlich geöffnet und eine sehr nette, fließend Englisch sprechende Frau öffnet uns die Tür in ihren kleinen Laden. Mit meinen langen Armen plündere ich ihre gekühlte Getränketheke um mich anschließend herzlich zu bedanken und draußen mit Sascha gemeinsam, bei gefühlten 5000° Celsius die Getränke zu genießen.

Der Supermarkt

Frisch aufgetankt fuhren wir also wieder hinauf auf den Deich entlang des Po. Sascha hatte die Idee: Umso schneller wir bei der Hitze fahren, desto frühzeitiger sind wir aus der Sonne. Und so fuhren wir mit einem Affenzahn in Richtung Ferrara. Das Fahren hat sich angefühlt, als würden wir gegen einen Föhn auf maximaler Wärmestufe und Drehgeschwindigkeit fahren, und zeitgleich ein Baustrahler ohne jegliche Euronorm seine Hitze in unsere Flanke brennen. 95 Kilometer lang.

Als absehbar war, dass wir bald, in 20 Kilometern, in eine große Stadt namens Ferrara rollen werden, und die Temperatur langsam mit fortschreitender Uhrzeit sank, fuhren wir zufälligerweise an einem der zahlreichen Wasserspender vorbei. Weniger Meter danach hielten wir an. “Sollen wir wirklich?” – “ey, ich bin so durch, was wollen wir machen, wir wissen ja nicht wo wir heute pennen” und so duschten wir uns nacheinander direkt neben einer viel befahrenden Straße an einem Wasserspender. In diesen Momenten nimmt man was man bekommt.

Nach dieser Wohltat sind wir in mäßigem Tempo in die Stadt Ferrara gerollt und dort gegen 18 Uhr angekommen.

Ferrara ist, wie sich herausstellte, eine wunderschöne Studentenstadt auf italienisch.

Zunächst ruhten wir uns auf einer Bank aus, um anschließend auf einer Art Platz im Außenbereich eines Restaurants mit Blick auf das Castello Estense der Stadt einzukehren. Ich hatte mir ein Glas Weißwein und eine Pinse (Pizza ist out!) bestellt, bevor wir diskutierten wo wir an diesem Tag schlafen werden. Zunächst wollte es keiner aussprechen, aber wir waren beide sehr im Arsch und eine Grünfläche zum Zelten haben wir auf google Maps auch nicht gefunden. Also starteten wir beide parallel unsere Suchen bei booking.com und sollten einer der verrücktesten Momente unsere Reise erleben.

Pinse

Bilder des Tages

Dusche

Lesen sie bald: Nachtkonzert am Lost-Place

Teil 3: https://reisen.svenwindhorst.de/2024/07/10/italien-3/

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